DIE gAMEBOYS KOMMEN: GEWINNEN IST ALLES
Computerspiele sind das reinste Management-Training! Zu dieser Schlussfolgerung kommt der amerikanische Universitätsprofessor und Unternehmensberater John Beck nach einer Befragung von 2500 Angestellten zu deren unternehmensrelevantem Wertesystem. Das Ergebnis: Die Playstation-Fraktion tickt anders und hat deshalb im Berufsleben die Nase vorn.
Für Beck steht fest: "Die Businesswelt muss den speziellen Wert dieser Generation nutzen!"
In seinem neuen Buch «Got Game» erklärt der Organisationswissenschaftler mit Harvard-Doktortitel den Managern, die noch mit Matchboxautos aufgewachsen sind, das Wertesystem der Gamer-Generation. Und dieser Wertekanon tönt zunächst recht simpel: Das ganze Leben ist ein Wettbewerb. Lerne durch Ausprobieren. Irgendwann schaffst du den Level. Du bist der Held.
Gewinnen ist alles
Diese Überzeugungen haben die Autoren aus ihrer Studie herausdestilliert. Der Aussage «Gewinnen ist alles» zum Beispiel stimmten Gamer rund 12% häufiger zu als ihre Kollegen, die nicht mit dem Joystick in der Hand geboren wurden. Allerdings ist diese Zielstrebigkeit auf den ersten Blick kaum erkennbar. "Auf Baby Boomer wirkt die Computerspiel-Generation oft unkonzentriert und ziellos - doch das ist sie nicht", betont Beck.
Hinter der Kulisse der hyperaktiven Handytelefonierer, Internetjunkies und Herumspieler versteckt sich ein grosses Potenzial. Und das kann nur auf einem Weg erschlossen werden: Auch das Berufsleben muss zum Spiel werden. "Setzen Sie Gamer in eine Wettbewerbssituation, und Sie werden überrascht sein", rät Beck, der an Universitäten in Nordamerika, Kanada und Japan lehrt.
Computerspiele als Massenphänomen
Für seine Theorie spricht, dass Computerspiele heute tatsächlich ein Massenphänomen sind: Rund ein Drittel aller Menschen über 14 Jahren hat im letzten halben Jahr ein Computerspiel gekauft, so eine Studie von TNS Emnid aus Deutschland. Reiner Kinderkram sind Konsolen ebenfalls nicht mehr: 38% der Bildschirmsportler haben die 35 schon überschritten, und Frauen stellen mittlerweile ein Drittel der Joystick-Akrobaten.
Wie sieht das Psychogramm eines typischen Computerspielers aus? Fest steht: Das Vorurteil vom ziellosen Zappelphilipp stimmt nicht. "Gamer gehen sehr leidenschaftlich und konzentriert ihrer Arbeit nach - wenn man sie als Experte in ihrem Feld akzeptiert", so Beck. Ausserdem punkten die Zocker mit hoher Ausdauer - schliesslich bestehen auch Computerspiele aus einer schier endlosen Folge von Frustration und Neuanfängen.
Diese Vorzüge entfaltet der Gamer in der Realität allerdings nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen: "Sorgen Sie für klare, eindeutige Regeln; alles muss auf den Erfolg ausgerichtet sein, auch das Gehalt", empfiehlt Beck. Der Gamer strebt nach dem Highscore; und wenn er ihn erreicht, dürfen das ruhig auch alle sehen und hören. Gesellschaftliche Anerkennung sei auch für Gameboys und -girls wichtig.
Weiterbildung unter veränderten Vorzeichen
Sobald ein Spielszenario auftaucht, geben Joystick-Akrobaten richtig Gas. Diese Regel gilt auch in punkto Weiterbildung: Kommunikative Einbahnstrassen wie Vorlesungen und Lehrbücher sind den Computerspiel-Kids ein Graus. Nicht umsonst heisst der schlimmste Fluch in ihren Internetforen «RTFM». Das steht für «Read the fucking manual!» also «Liess die verdammte Gebrauchsanleitung!». Denn ein echter Gamer lernt per Trial-and-Error, wurstelt sich selbst durch. Nur Verlierer brauchen Erklärungen aus einem Buch.
Genau diesen Anspruch hat die Gamer-Generation auch an die betriebliche Weiterbildung: "Machen Sie einen Wettbewerb draus", rät Beck, "Sie werden sich wundern, wie viel mehr Sie in zwei Stunden vor dem Bildschirm erreichen als in zwei Tagen Vorträgen." Er prognostiziert, dass die Nutzung von PC-basierten Strategiespielen in Unternehmen in den nächsten Jahren explodieren wird.
Machiavellismus inklusive
Natürlich sind Videospieler keine Übermenschen. Beck und Wade haben in ihrer Umfrage auch bedenkliche Tendenzen entdeckt. So warnen sie davor, dass das Aufwachsen in der holzschnittartigen Virtualität denkbar schlecht auf das komplexe Sozialgefüge eines Unternehmens vorbereiten. Einen gewissen "Machiavellismus im Umgang mit Kollegen" hätten sie beobachtet, berichtet Beck. Die Gameboys isolieren sich zwar nicht; doch wenn es ans Entscheiden geht, fallen sie in die Rolle des einsamen Bildschirmhelden zurück.
Quelle: HandelsZeitung (Nr. 46, S. 22) / 10.11.2004