WEITERBILDUNG
SOLL PRIVATSACHE BLEIBEN
"Lebenslanges Lernen" wird heute zwar von den Arbeitnehmern
allerorten gefordert, und viele folgen diesem Ruf auch bereitwillig. 39
Prozent der Erwachsenen besuchen Weiterbildungskurse, zeigen Erhebungen
des Bundesamtes für Statistik. Die Unterschiede sind allerdings gross:
Es bilden sich vor allem die bereits gut Qualifizierten weiter. Und längst
nicht alle, die möchten oder dies für ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt
besonders nötig hätten, finden den Zugang zum existierenden,
in vielen Bereichen unübersichtlichen, teuren und qualitativ kaum
kontrollierten Angebot. Im Parlament ist denn auch wiederholt die ordnende
und fördernde Hand des Bundes anbegehrt worden. Das jüngste
Resultat ist ein noch unveröffentlichter Bericht einer interdepartementalen
Arbeitsgruppe, der jenen, die danach gerufen haben, allerdings keine Freude
bereiten wird.
Aufgabe der Sozialpartner
Die Arbeitsgruppe, die aus Vertretern verschiedener Fachstellen bestand
und von der Direktion für Arbeit im Volkswirtschaftsdepartement geleitet
wurde, hat insbesondere die Aufnahme von Bestimmungen über den Anspruch
auf Weiterbildung und deren Finanzierung ins Obligationenrecht geprüft.
Eine entsprechende Ausweitung des Arbeitsrechts war vom Nationalrat mit
der Überweisung eines Postulates von Gewerkschaftsbund-Präsident
Paul Rechsteiner (sp., St."Gallen) verlangt worden. Der Bericht erteilt
der Forderung nun eine klare Absage. Begründung: Auf neue Staatseingriffe
sei zu verzichten, die Regelung der Weiterbildung solle Aufgabe der Sozialpartner
bleiben. Ein gesetzliches Recht auf Weiterbildung würde zudem kaum
lösbare Abgrenzungsprobleme mit sich bringen, befanden die Fachleute:
Was überhaupt wäre berufsorientierte Weiterbildung - zum Beispiel
auch ein Arabischkurs für einen Bauarbeiter?
Die Folgerungen basieren auf einer Analyse der geltenden Bestimmungen
in der Bundesverfassung, im Obligationenrecht und in Gesamtarbeitsverträgen
(GAV) sowie auf einem Vergleich mit der Situation in anderen Ländern.
Viele Gesamtarbeitsverträge gewähren ein Recht auf drei bis
fünf bezahlte Weiterbildungstage pro Jahr, und die Finanzierung der
Kurse wird paritätisch auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilt.
Für gut die Hälfte der Arbeitnehmer gibt es indes keine derartigen
kollektiven Regelungen; ein Anspruch auf Weiterbildung, falls überhaupt
erwähnt, wird nicht konkretisiert. Die schwache Regulierung kann
allerdings auch dem Arbeitnehmer zugute kommen: Wenn der GAV nichts bestimmt
und wenn im Einzelfall nichts anderes vereinbart wurde, kann der Arbeitgeber
Kostenbeiträge nicht zurückfordern, selbst wenn der Arbeitnehmer
unmittelbar nach der Weiterbildung kündigt.
Finanzieller Spielraum fehlt
Der Bundesrat wird dem Antrag, auf neue Regulierungen zu verzichten, zweifellos
folgen, hatte er sich doch schon bisher skeptisch geäussert. Und
im Parlament ist es bisher ebenfalls bei vagen Prüfungsaufträgen
an Regierung und Verwaltung geblieben. Dies gilt für eine gesetzliche
Regelung der Weiterbildung ebenso wie für ein Engagement zugunsten
eines bestimmten Angebotes, das mit Kostenfolgen verbunden wäre.
Die Bildungskommission des Nationalrats, die ursprünglich eine Weiterbildungsoffensive
zugunsten einzelner Gruppen (wenig qualifizierte Personen sowie Frauen,
die nach einem familienbedingten Unterbruch wieder in den Beruf einsteigen)
plante, hat schliesslich auf eine eigene Initiative verzichtet und lediglich
zwei Postulate zustande gebracht. Das neue Berufsbildungsgesetz bietet
zwar auch für solche Anliegen eine Rechtsgrundlage; die Finanzen
erlauben dem Bund in absehbarer Zeit jedoch keine grossen Sprünge.
So wird halt die Verwaltung einfach weitere Berichte zu diesem Thema schreiben
müssen. Der ehemalige Berner FDP-Nationalrat und Unternehmer François
Loeb hatte bereits vor der Überweisung des Postulates Rechsteiner
treffend, aber erfolglos gemahnt: "Auch die Verwaltung hat Besseres
zu tun, als Sachen zu prüfen, die man dann nicht machen will."
Quelle: NZZ (Nr.
31, S. 15 / 07.02.2003)